Bestandsbeschreibung
Lebensdaten: 1777 - 1820



Inhaltliche Charakterisierung
Der vorliegende Nachlass des ersten Polizeipräsidenten von Berlin, Leiter der gesamten Polizeiverwaltung in Preußen, preußischen Geheimen Staatsrats und preußischen Gesandten in der Schweiz, Justus Karl von Gruner, gelangte in drei Teilen in das Geheime Staatsarchiv. "Der 1. Teil besteht aus den 1820 nach dem Tode Gruners in Wiesbaden beschlagnahmten Schriftstücken seines Nachlasses, die nach der Ansicht der preußischen Behörden von politischer Bedeutung waren. Er wurde von [Carl] Sattler geordnet und verzeichnet. Der 2. Teil stammt aus dem Nachlass des Enkels, Justus III von Gruner und wurde 1934 von dem Berliner Antiquariat Liepmannssohn käuflich erworben (vgl. GStA I 1467/1934 und I 1689/1934 [Akz. 243/1934, Jhresbericht 1934 S. 16]). Beide Teile wurden 1936 zusammengelegt und neu verzeichnet […]. Angeschlossen ist der zugleich mit erworbene Nachlaß von Justus III. von Gruner [1857-1933], der […] fast ausschließlich Manuskripte zu Arbeiten über seinen Großvater enthält." Diese Archivalien (Nr. 120-202) werden in der Klassifikationsgruppe 7 zusammen aufgeführt und wurden bei der jetzigen Nachlassbearbeitung verzeichnet. Es handelt sich dabei vorrangig um Abschriften des Enkels Justus von Gruner aus verschiedenen Archivalien. Die Quellen werden in Klammern angegebenen und beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf Archivalien des GStA PK. Es handelt sich dabei teilweise um alte Signaturen, die vor der Bestellung überprüft werden müssen.

Im Zweiten Weltkrieg (um 1943) wurde dieser erste Nachlassteil ausgelagert (neue Nr. 42-202) und gelangte 1954 in das Deutsche Zentralarchiv, Historische Abt. II Merseburg. Im Jahre 1993 kehrte der Nachlass mit der Rückführung der im Krieg ausgelagerten Bestände wieder in das Geheime Staatsarchiv PK nach Berlin zurück und konnte dadurch mit dem nach dem Krieg im Jahr 1967 von Frau Maria Tollen (Enkelin Gruners, 1896-1983) erworbenen dritten Teil (Nr. 1-41) nun vereinigt werden (Akz. 62/1967). Es handelt sich bei dem später in das Archiv gekommenen Nachlassteil um Dokumente mit eher persönlichem Inhalt, die deshalb wahrscheinlich lange Zeit in Familienbesitz verblieben waren. Anreicherungen erfuhr der Nachlass ferner durch weitere Zugänge im Jahr 1967 (Nr. 40, Akz. 111/1967), 1989 (Nr. 41, Akz. 47/1989,2), 2009 (Nr. 204, Akz. 121/2009) und 2016 (Nr. 203) durch Einarbeitung eines Autographen aus den Kleinen Erwerbungen (I. HA Rep. 94).

Das ursprüngliche Findbuch für den ersten und zweiten Nachlassteil erstellten im Jahr 1934 Carl Sattler und 1936 Adalbert Hahn. Der dritte Nachlassteil wurde von dem Archivinspektoranwärter Günter Käker im Rahmen seiner praktischen Ausbildung im Jahr 1975 geordnet. Bei der nun erfolgten Verzahnung der verschiedenen Nachlassteile wurden die älteren Teilnachlässe der Einfachheit halber nach den laufenden Nummern 42-202 umsigniert und dabei der vollständige Nachlass magazintechnisch bearbeitet. Die alten Signaturen können der Konkordanz am Findbuchende entnommen werden. Der von Günter Käker erstellte Lebenslauf und Teile der beiden alten Findbuch-Vorworte wurden in das jetzige Findbuch übernommen.

Der Nachlass beinhaltet in der Hauptsache Privates, Personalsachen, Handakten, Korrespondenz v. a. zu Polizeiangelegenheiten, Organisation und Administration der Gebiete Mittelrhein und Großherzogtum Berg 1813-1815, Nachrichten über Kriegsereignisse 1814, Manuskripte von Gruners, Denkschriften, dienstliche und private Korrespondenz mit einer Vielzahl von -partnern, Material zu Nachkommen von Gruners, Manuskripte und zahlreiche Quellenabschriften des Enkels Justus von Gruner über Justus Karl von Gruner.

Ein Teil der hiesigen Nachlassakten befand sich früher in dem im Jahr 1815 eingerichteten Pertinenzbestand I. HA Rep. 73 Provinz Niederrhein. Dieser ist im Jahr 1933 aufgelöst und die Akten provenienzgemäß zurückgeordnet worden.

Weitere Archivalien zu Justus Karl von Gruner befinden sich unter anderem in den beiden folgenden Beständen:
GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Rep. 77 Tit. 518 Kommissionsakten von Gruner
GStA PK, III. HA Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten.

Auch den Archivalien Nr. 120-202 mit den Abschriften des Enkels kann man anhand der angegebenen Quellen Signaturen zu weiteren Archivalien entnehmen, die Bezug zu Justus Karl von Gruner aufweisen.

Es befinden sich ferner Briefe von K. Müller von Friedberg und B. G. Niebuhr an Justus Karl von Gruner laut deren Archivdatenbank im Schweizerischen Bundesarchiv.

Zu verweisen ist auch auf den Nachlass des Sohnes Justus von Gruner (1807-1885), der unter der Signatur GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Nl Justus von Gruner (der Jüngere) im GStA PK verwahrt wird.

Mit Einführung der neuen Tektonik im GStA PK wurde der ehemals als "I. Hauptabteilung Rep. 92 Gruner I" geführte Nachlass im Jahr 2001 der neu gebildeten VI. Hauptabteilung Familienarchive und Nachlässe angegliedert.


Laufzeit: (1793) 1795-1820 (1821-1823, 1862-1937) und ohne Datum

Umfang: 1,9 lfm

Letzte vergebene Nummer:

Der Bestand lagert derzeit im Westhafen.

Die Akten sind auf gelben Leihscheinen wie folgt zu bestellen:
VI. HA, Nl J. K. v. Gruner, d. Ä., Nr. ....

Zitierweise:
GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Justus Karl von Gruner (der Ältere), Nr. ....




Berlin, August 2016 (Sylvia Rose, Archivoberinspektorin)





Lebensdaten


28. Feb. 1777 geb. in Osnabrück
Vater: Christian (1732-1787), Dr. jur., osnabrückischer Vizekanzleidirektor, Konsistorialrat
Mutter: Wilhelmine (1752-1831)
Brüder: Georg (1772-1841), Konsistorialrat in Celle, Friedrich (1773-1825), Konsistorialrat in Osnabrück, Siegfried (1774-1855), Papierfabrikant in Gretesch, August Wilhelm (1778-1859), Überseekaufmann und Reeder in Bremen
Taufpate: Justus Möser (starker Einfluss auf Justus Karl von Gruner)

1796 - 1798 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Halle und Göttingen. Freundschaft mit den Brüdern Eichhorn

1798 Rückkehr nach Osnabrück. Literarische Versuche

1801 Zunächst in freier Stellung, dann als Kammerat in preußischen Diensten: Anwerbung von Kolonisten in Franken und Schwaben für Südpreußen

1802/1803 Roman "Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung" (2 Teile) im Anschluss an eine Wanderreise mit Beschreibungen westfälischer Zustände

1803 1. Ehe mit Jeanne Françoise Mélanie Guilbert in Paris. Geschieden 1803

1804 2. Ehe mit Caroline v. Poellnitz in Ansbach. Geschieden 1811. In die Hauptverwaltung der neuen polnischen Erwerbungen nach Berlin berufen

1806 - Feb. 1807 Kammerdirektor bei der Kriegs- und Domänenkammer in Posen, auch unter der französischen Besatzung

2. Apr. 1807 Geburt des Sohnes Justus in Berlin (preußischer Diplomat, gestorben 12.10.1885). Bei einem kurzen Aufenthalt in Memel, dem provisorischen Sitz der obersten Staatsbehörden, Berührung mit Stein und Hardenberg. Nach dem Tilsiter Frieden Leiter der pommerschen Landesverwaltung in Treptow an der Rega

1809 1. königlicher Polizeipräsident in Berlin

Feb. 1811 Staatsrat und Leiter der politischen Polizei in Preußen

1811 Scheidung von Caroline, geb. v. Poellnitz; 3. Ehe mit Emilie Krause (1793-1812)

1812 Abschied wegen des französisch-preußischen Bündnisses. Exil in Prag; dort Organisierung eines Agentennetzes gegen Frankreich

22. Aug. 1812 - Aug. 1813 Auf Veranlassung Metternichs auf der ungarischen Festung Peterwardein in Haft

19. Nov. 1813 Von Stein in die Zentralverwaltung der Verbündeten berufen und als kaiserlich-russischer Staatsrat mit der Leitung des Generalgouvernements Berg mit dem Sitz in Düsseldorf betraut

Feb. - März 1814 Verwaltung des Gouvernements Mittelrhein

1814 4. Ehe mit Anastasia Robin (1791-1828) in Koblenz

Apr. 1815 Nach dem endgültigen Übergang der Rheinlande in preußischen Besitz Tätigkeit beendet

Sommer 1815 Leiter der politischen Polizei der Verbündeten in Paris

19.10.1815 Verleihung des erblichen preußischen Adels

April 1816 Preußischer Gesandter bei der Eidgenossenschaft in Bern

1818 Geburt eines Sohnes (schon 1819 verstorben)

8. Feb. 1820 gestorben in Wiesbaden



Literatur (in Auswahl)

von ihm:
Gerd Dethlefs und Jürgen Kloosterhuis, Auf kritischer Wallfahrt zwischen Rhein und Weser: Justus Gruners Schriften in den Umbruchsjahren 1801-1803. Köln [u.a.] 2009 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 65)

Justus [von] Gruner, Versuch über die recht- und zweckmäßigste Einrichtung öffentlicher Sicherungsinstitute deren jetzigen Mängel und Verbesserungen: nebst einer Darstellung der Gefangen- Zucht- u. Besserungshäuser Westphalens. Frankfurt am Main 1802

Justus [von] Gruner, Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung oder Schilderung des sittlichen und bürgerlichen Zustandes Westphalens am Ende des achtzehnten Jahrhundert. 2 Teile, Frankfurt/Main 1802-1803

Justus [von] Gruner, Kriegs-Artikel für die Unter-Officiere und gemeinen Soldaten des Bergischen Truppen-Corps. Düsseldorf 1813

Justus [von] Gruner und E. M. Arndt, Was bedeutet Landsturm und Landwehr? Nebst einer Aufforderung an teutsche Jünglinge und Männer zum Kampfe für Deutschlands Freiheit. [Berlin] [1814]

Günther Volz und Eugen Meyer, Aus dem Briefwechsel zwischen dem Freiherrn vom Stein und Justus Gruner im Jahre 1814. Saarbrücken, 1958 (Sonderdruck aus: Annales Universitatis Saraviensis / Philosophie; 7.1958,3/4)

von seinem Enkel:
Justus von Gruner, Wittgensteins Aufenthalt in Teplitz im Jahre 1812. Berlin 1894. In: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Bd. 7, 1, S. 221-226

Justus von Gruner, Die Zustände im Großherzogtum Berg zu Anfang der Organisation des Generalgouvernements im Jahre 1813. Neustadt/Aisch 1913. In: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins, Bd. 46

über ihn:
Justus von Gruner (Sohn?), Gruner, Justus von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 10, Leipzig 1879, S. 42-48

Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser. Alter Adel und Briefadel. 1. Jg. 1907, 241-242 (bzw. 23. Jg. 1931 S. 243-244)

August Fournier, Stein und Gruner in Österreich. In: Historische Studien und Skizzen. Reihe 3. Wien 1912

Ursula Veit, Justus Gruner, der Schöpfer des Berliner Polizeipräsidiums und der Geheimen Preußischen Staatspolizei. Rostock, Phil. Dissertation 1934 (bzw. Teildruck: Ursula Veit, Justus Gruner als Schöpfer der Geheimen Preußischen Staatspolizei, Coburg 1937)

Willy Real, Justus Gruner. In: Westfälische Lebensbilder. Bd. 5. Münster 1937, S. 259-276 (mit Bibliographie)

Stephan Skalweit, Gruner, Justus von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 7, Berlin 1966, S. 227

Egon Erwin Kisch, Konspirative Tätigkeit des preußischen Polizeichefs Gruner. In: Prager Pitaval - Späte Reportagen. Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Band II/2. Berlin/ Weimar 1969, S. 229-234

Rudolf Ibbeken, Preußen 1807-1813. Staat und Volk als Idee und in Wirklichkeit (Darstellung und Dokumentation). Köln und Berlin 1970, S. 80 u. ö. (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 5)

Genealogisches Handbuch des Adels, Adelslexikon. Band IV, Band 67 der Gesamtreihe, Limburg/Lahn 1978, S. 302

Kurt Zeisler, Justus v. Gruner. Eine biographische Skizze. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1994, S. 81-105

Kurt Wernicke, Berlins erster Polizeipräsident. In: Berlinische Monatsschrift. Heft 11, Berlin 1995, S. 3-10

Wilfried Reininghaus, Gisela Weiß, Eine Reise in die Moderne. In: G. Weiß (Hrsg.): Zerbrochen sind die Fesseln des Schlendrians. Westfalens Aufbruch in die Moderne. Münster 2002, S. 44-48.
Zitierweise
GStA PK, VI. HA, Nl Gruner, J. K. v., d. Ä.
Umfang: Angaben zum Umfang: 1,9 lfm (204 VE)
Bereitstellendes Archiv: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz