Einleitung
Behördengeschichte
Das preußische Oberzensurkollegium wurde im Gefolge des Pressegesetzes des Deutschen Bundes (als Teil der "Karlsbader Beschlüsse")
vom 20. September 1819 durch König Friedrich Wilhelm III. im Oktober 1819 gegründet (s. Gesetzsammlung von 1819, S. 227-232;
Link:
http://www.heinrich-heine-denkmal.de/dokumente/zensurgesetz.shtml) und dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, dem Ministerium des Innern - bei dem es ressortierte - und dem Ministerium
der geistlichen Angelegenheiten und des öffentlichen Unterrichts, den drei sogenannten "Zensurministerien" mit ihren je spezifischen
Zuständigkeiten für Politik, Religion und innere Ordnung, unterstellt. Das Kollegium bestand aus einem Präsidenten und zehn
Mitgliedern, Staatsbeamten, die ihre Tätigkeit darin allerdings nur nebenamtlich ausübten; erst seit 1832 wurden zwei hauptamtliche
Mitglieder bestellt. Es hatte die Ausführung der detailierten Bestimmungen der genannten Zensurverordnung von 1819 zu überwachen,
die Oberpräsidenten und niederen Zensurbehörden in Fragen der Zensur nach Maßgabe der beteiligten Ministerien anzuleiten,
es entschied über Beschwerden in Zensursachen und übte eine gutachterliche Tätigkeit für die obengenannten Ministerien bei
Zensurvergehen aus. In das alltägliche Geschäft der Zensur, die Prüfung von Schriftwerken und die Erteilung von Druckerlaubnissen,
war das Kollegium in der Regel nicht involviert; diese Aufgabe oblag zuerst den Zensoren in den Provinzen und den sie direkt
beaufsichtigenden Oberpräsidenten. Allenfalls wenn eine Beschwerde gegen eine Zensurentscheidung erfolgte, gelangte diese
in oberster Instanz vor das Kollegium. Das Oberzensurkollegium besaß allerdings kein Monopol hinsichtlich des Fällens von
Zensurentscheidungen; vielmehr war das Innenministerium auch weiter ausführend mit der Durchsetzung der Zensur durch Erteilung
oder Verweigerung von Druckerlaubnissen befaßt, was wohl mit zur auch so empfundenen organisatorischen Schwächung des Gremiums
betrug.
Im Jahre 1843 erfolgte aufgrund der konstatierten Ineffektivität des Verfahrens sowie der Bemühung um eine weniger restriktive
Praxis unter dem neuen König Friedrich Wilhelm IV. eine Umgestaltung des Zensurwesens auf oberster Ebene durch Kabinetssordre
vom 23. Februar (s. Gesetzsammlung von 1843, S. 31-36). Es wurde ein von den Ministerien unabhängiges, beim Justizministerium
ressortierendes Oberzensurgericht installiert, das Beschwerden gegen Entscheidungen der unteren Zensurbehörden - die weiterhin
dem innenministerium unterstellt waren - auf rechtsförmlichem Wege verhandeln sollte. Die eigentliche Zensurverwaltung und
ihre Beaufsichtigung wurde dem Ministerium des Innern ausschließlich übertragen, weshalb die Überlieferung der eigentlichen
Zensurverwaltung und -ausübung im Bestand auch nicht über das Jahr 1843 hinausreicht. Auch der bei dem Gericht tätige Staatsanwalt
war Beamter des Innenministeriums. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem Gericht
und dem Innenminister über die tatsächlichen Grenzen der Gerichtsbarkeit und die als zu tolerant angesehene Spruchpraxis.
Infolge der Revolution von 1848/49 wurde die Zensur schließlich formell abgeschafft und das Oberzensurgericht aufgelöst. Die
Praxis der präventiven Zensur wurde durch die nun mögliche strafrechtliche Ahndung gemäß den Bestimmungen des neuen Presserechts
nach der jeweiligen Veröffentlichung abgelöst, wobei die Verwaltungs- und Polizeibehörden auch weiterhin mehrere Instrumente
zur Einschränkung der Pressefreiheit besaßen und nutzten.
Bestandsgeschichte
Die Akten des Oberzensurkollegiums und des Oberzensurgerichts gelangten nach der Abschaffung der Behörden höchstwahrscheinlich
an das für die längste Zeit ihres Bestehens zuständige Innenministerium, von wo sie im Dezember 1860 gemeinsam mit den Akten
des Innenministeriums zur Zensurverwaltung (jetzt: GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Tit. 1-5) an das Geheime
Staatsarchiv abgegeben wurden (vgl. GStA PK, I. HA Rep. 178 Generaldirektion der Staatsarchive, Nr. 1900 fol. 55, sowie die
Vorbemerkung im Altfindbuch I 77/5; im Akzessionsjournal für 1860 ist jedoch der Zugang von Zensurakten nicht nachgewiesen).
Dies geschah übrigens in zeitlicher Nähe zur Abgabe der im Zuge der sogenannten Demagogenverfolgung entstandenen Untersuchungsakten
des Innenministeriums und seiner Kommissionen (vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Abt. II Sekt 10) im Jahr
1861; Zensur wie politische Überwachung im Vormärz hatten beide ihre Ursprünge und Grundlage in den Karlsbader Beschlüssen
und hatten ihr Ende mit der Revolution von 1848/49 gefunden. Diese Aktenbestände schienen 1860/61 dem Ministerium anscheinend
nicht mehr von praktischer Bedeutung, was möglicherweise mit der sogenannten "Neuen Ära" und der Übernahme des Innenministeriums
durch den altliberalen Maximilian von Schwerin-Putzar zusammenhing.
Die Akten von Oberzensurkollegium und Oberzensurgericht wurden zuerst der alten Repositur "I. HA Rep. 9 Allgemeine Verwaltung"
zugeschlagen, wie das auch für die Akten der Zensurverwaltung des Innenministeriums der Fall war. Im Gefolge der Einführung
des Provenienzprinzips im Geheimen Staatsarchiv im Jahr 1881 wurden sie dort wieder herausgelöst und der neu begründeten Repositur
"I. HA Rep. 101" zugewiesen; dies erfolgte ebenso für die Zensurakten des Innenministeriums, welche als erster Bestandteil
(Titel 1-5 !) der neuen Repositur "I. HA Rep. 77 Innenministerium" zugewiesen wurden.
Der Bestand gelangte durch die kriegsbedingten Auslagerungen der Jahre 1941-44 schließlich in das Deutsche Zentralarchiv in
Merseburg, von wo er 1993/94 nach Berlin in das Geheime Staatsarchiv PK in Berlin zurückgeführt wurde.
Ein in der Beständeübersicht von 1934, S. 144, noch angegebenes "Behörden-Repertorium, von G. Friedländer berichtigt", welches
ggfs. noch weiteren Aufschluss über den Werdegang der Registratur hätte geben können, ist nicht überliefert.
Bestandsumfang- und aufbau
Der Bestand zählt 426 Verzeichnungseinheiten mit einem Umfang von ca. 8 laufenden Metern. Er enthält die überlieferten Akten
des Oberzensurkollegiums wie des Oberzensurgerichts und des Staatsanwaltes beim Oberzensurgericht. Enthalten sind Organisationsakten,
Akten zur allgemeinen Zensur nach sachlichen Gesichtspunkten sowie größtenteils Akten zu den Zensurverfahren und -beschwerden
einzelner Autoren, Verleger oder Herausgeber von Periodika.
Verwandte Bestände
Archivalien zur Zensur in Preußen finden sich entsprechend der zeitweise gemeinsamen Zuständigkeiten auch in anderen Beständen,
u.a.:
GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, Nr. 15151-15240
GStA PK, III. HA Ministerium des Auswärtigen, I Nr. 8920 bis I Nr. 9347
GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, I Sekt. 22 Nr. 1 - Nr. 42
GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern (Abteilung II Sektion 9)
- Titel 1: Zensurverwaltung. Allgemein
- Titel 2: Generalia. Zensursachen. Allgemein
- Titel 2 Spezialia: Zensursachen. Einzelfälle - Allgemein
- Titel 2 Spezialia A bis Spezialia Z: Zensursachen. Einzelfälle - Buchstaben A bis Z
- Titel 529: Sulzersche Papiere [Theodor Sulzer, Staatsanwalt beim Oberzensurgericht]
Bestandsverzeichnung
Die vorliegende Verzeichnung beruht auf einem Merseburger Findbuch der Jahre 1950-60. Ein vorhergehendes Behördenrepertorium
scheint nicht überliefert.
Die Akten sind zu bestellen als:
I. HA Rep. 101, Nr. ###
Die Akten sind zu zitieren als:
GStA PK, I. HA Rep. 101 Oberzensurkollegium und Oberzensurgericht, Nr. ###
Die letzte vergebene Nummer lautet:
Berlin, Mai 2015
Dr. Kober
Literatur:
Holtz, Bärbel: Zensur und Zensoren im preußischen Vormärz, in: Gabriele B. Clemens (Hg.): Zensur im Vormärz. Pressefreiheit
und Informationskontrolle iin Europa, Ostfildern 2013, S. 105-120.
Holtz, Bärbel: Eine mit "Intelligenz ausgerüstete lebendig wirksame Behörde". Preußens zentrale Zensurbehörden im Vormärz,
in: Bernd Kortländer/Enno Stahl (Hgg.): Zensur im 19. Jahrhundert. Das literarische Leben aus Sicht seiner Überwacher, Bielefeld
2012, S. 153-176.
Schleyer, Benjamin: Friedrich Wilhelm Bornemann (1798 - 1864): Eine Juristenkarriere im Preußen des 19. Jahrhunderts (Rechtshistorische
Reihe, 337), Frankfurt am Main u.a. 2006.
Siemann, Wolfram: Von der offenen zur mittelbaren Kontrolle. Der Wandel in der deutschen Preßgesetzgebung und Zensurpraxis
des 19. Jahrhunderts, in: Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch (Hgg.): "Unmoralisch an sich ..." : Zensur im 18. und 19.
Jahrhundert, Wiesbaden 1988, 293-308.