Carl Wilhelm Saegert wurde am 29. Januar 1809 in Baerwalde geboren. Sein Vater, in der Geburtsurkunde als Dragoner bezeichnet,
war später Ratsdiener. Der junge Saegert erhielt eine Freistelle im Schullehrerseminar Neuzelle, bildete sich an der Königsberger
Erziehungsanstalt für Taubstumme weiter aus, wurde Taubstummenlehrer in Weißenfels und Magdeburg, legte 1836 das Examen für
das Direktorium eines Schullehrerseminars oder einer höheren Bürgerschule ab und wurde 1840 Direktor des Königlichen Taubstummeninstituts
in Berlin. Er gründete hier privat eine Heil- und Bildungsanstalt für Blödsinnige, der später (1855) Korporationsrechte verliehen
wurden.
1852 wurde er Mitglied des Königlichen Schulkollegiums der Provinz Brandenburg mit Ernennung zum Regierungs- und Schulrat,
1853 Generalinspektor des Taubstummenwesens, 1857 Geheimer Regierungs- und vortragender Ministerialrat.
Zur politischen Laufbahn: 1848 Stadtverordnetenstellvertreter, kurz darauf unbesoldeter Stadtrat, von 1849 bis 1855 Mitglied
des Landtags.
Saegert starb 1879.
Aufmerksamkeit verdient er weniger durch seine Tätigkeit als Taubstummenlehrer oder Inspektor des Taubstummenwesens (vgl.
die Exzerpte aus der Fachliteratur, Anlage zu Nr. 3), als durch seine Beziehung zu Friedrich Wilhelm IV. Sie begann im Revolutionsjahr
1848; wie das Tagebuch Saegerts (Nr. 4 - 6) zeigt, wurde er im März 1848 von dem Kabinettssekretär der Königin, Harder, den
er wohl aus der Zeit kannte, in der er Geschichtslehrer des Prinzen Friedrich war (1843), gefragt, 'auf welche Seite er sich
stellen werde' (Eintragung vom 13. März 1848), und gab darauf eine zwar wortreich-verklausulierte, aber Harder befriedigende
Antwort, die die Beziehung zum Monarchen begründete. Über die Anfänge der Beziehung Saegerts zu Friedrich Wilhelm IV. und
Saegerts Rolle in den Revolutionstagen gibt der König selbst Auskunft in den Briefen an die Minister der geistlichen ect.
Angelegenheiten, von Ladenberg (Nr. 24) und von Raumer (Nr. 29), und an den Prinzen von Preußen (1853, Nr. 45), auf die hier
verwiesen wird. Wie stark der Eindruck Saegerts auf den König war, zeigt der Brief vom 15. November 1848 (Nr. 10). Er schwächte
sich auch im Laufe der Zeit kaum ab, wenngleich Saegert dem König zuweilen etwas exaltiert, ja 'dämonisch' erschien (das Wort
'dämonisch' wohl im Sinne wohlwollenden Tadels, aber eines Tadels mit verborgenem, erstaunten Respekt verstanden).
Saegert dachte zeitweilig daran, besoldeter persönlicher Ratgeber des Königs zu werden, als er die Kampagne um die Modifikation
des Art. 65 VerfUrk. Anfangs mit Erfolg in der Kammer betrieb; er gab diesen Gedanken aber nach dem partiellen Misserfolg
seiner Bemühungen auf (siehe die in Nr. 42 verzeichneten Briefe dazu) und setzte die Beziehung in der früheren lockeren Form
fort. Sie vertiefte sich während des Orientalischen Krieges und fand zugleich ein Ende mit ihm und dem Scheitern der von Usedom-von
Wedellschen Spezialmission (siehe Briefwechsel König - Saegert aus dem September bis Dezember 1855, Nr. 70, und die Nr. 67
- 69, 71), ein Ende, das der König bedauerte und an das er nie recht glauben wollte (siehe Briefwechsel 1856, Nr. 90, insbesondere
die Widmung auf der Rückseite des Saegert übersandten Portraits des Königs, und Nr. 81, 100). Der König setzte den Töchtern
Saegerts noch nach dem Bruch eine Mitgifthilfe aus (siehe Nr. 3, lose Blätter am Anfang).
Das wesentliche Element in der Beziehung Friedrich Wilhelm IV. - Saegert war anscheinend die Neigung des Königs, sich von
der selbstbewussten, sicheren, ja, starren Art Saegerts beeindrucken zu lassen, die mit seiner eigenen schwankenden Natur
kontrastierte und ihm einen über das sachlich gerechtfertigte Maß hinausreichenden Respekt abnötigte.
Die Stellung Saegerts zum Hofe war zwielichtig. Er wurde als Außenseiter sowohl von der "Kamarilla", als von den Ministern
und der Ministerialbureaukratie misstrauisch beobachtet, zuweilen herangezogen, zuweilen beiseite geschoben, eine für Saegert
zweifellos unbefriedigende Situation, die er oft bitter beklagte. Stützen konnte er sich nur auf den König, der aber zuweilen
selbst in ein gespanntes Verhältnis zu seinen Ministern geriet.
Saegert war politischer Dilettant, vielleicht aus Leidenschaft, vielleicht aus Eitelkeit, vielleicht, weil er durch die Ereignisse
des Jahres 1848 in die Politik gezogen und vom König in ihr festgehalten wurde. Saegerts Talent lag vorwiegend in der Beeinflussung
der Volksmassen und im parlamentarischen Kulissen- und Intrigenspiel.
Es ist schwer zu sagen, ob Saegert ab ovo der enragierte Royalist war, als den der König ihn rühmt und er sich selbst später
gab. Es war ihm sehr schmerzlich, nicht 'Person von Stande' zu sein; seine 'niedere Herkunft' war Gegenstand zahlreicher Klagen.
Es war ihm besonders schmerzlich, ihm, der zweifellos intelligent war, (wenn auch nicht auf die von dem General von Wedell
in Nr. 80 allzu hochgelobte Art), durch seine Herkunft den Weg zu einer seiner Meinung nach ihm angemessenen Stellung in der
Gesellschaft versperrt zu sehen. Das schuf ein ständiges Gefühl des Missbehagens, es veranlasste ihn zu scharfen Reaktionen
gegen jede Zurücksetzung, auch die nur vermeinte. Es ist zumindest nicht unwahrscheinlich, dass er (trotz seines 'Leitfadens
durch die vaterländische Geschichte der Preußen' aus dem Jahre 1843) beim Beginn der 'Revolution' schwankte, auf welche Seite
er sich schlagen solle.
Er sah, dass er Einfluss auf das Volk zu gewinnen vermochte. Er mag sich schon als möglichen Revolutionshelden gesehen haben.
Der Kontakt zum Hofe (wenn auch nicht zum König selbst), den er durch seine Stellung als Prinzenerzieher für kurze Zeit hatte,
hatte ein schnelles und für Saegerts Empfindlichkeit anscheinend unbefriedigendes Ende gefunden. Zu den Gerüchten über antiroyalistische
Äußerungen in einer Volksversammlung Ende Mai 1848, die ihm lange anhingen und gegen die er später mit allen Mitteln als Verleumdungen
ankämpfte siehe z. B. Nr. 3, 48 und 77. (Die 'Rehabilitierung Saegerts' ist nicht ganz überzeugend; die Vernehmungen der 'Verleumder'
wurden von dem Polizeidirektor Stieber vorgenommen, der ein enger Freund Saegerts und dessen Vernehmungsmethode berüchtigt
war). Erst durch Harders Appell und die darauf folgende Beziehung Saegerts zum König scheint seine Haltung sich geklärt zu
haben.
Aber von dieser Entscheidung für die Monarchie erhoffte er sich anscheinend zu viel. Die Beziehung zum König blieb geheim,
obwohl Saegert sich gern in aller Öffentlichkeit und mit allen Ehren vom König empfangen gesehen hätte. Saegert wurde ohne
jede Ostentation zum König gebracht. 'Über die Hintertreppe', wie er klagend bemerkte, meist durch Vermittlung des Geheimkämmerers
des Königs, Schöning, oder den Kabinettssekretär der Königin, Harder, über die auch der Briefwechsel König - Saegert lief.
Gleichwohl sprachen sich die Empfänge in Hof- und Stadtkreisen herum und gaben Anlass zu vielen Redereien, die Saegert vorwiegend
Ärger bereiteten.
Die Schwierigkeiten Saegerts mit der 'Bureaukratie', denen man im Nachlasse fortlaufend begegnet, beruhen sachlich darauf,
dass die Aufnahme Saegerts als Vollmitglied in das Provinzialschulkollegium und als leitender Beamter in das Ministerium der
geistlichen etc. Angelegenheiten, auf die er aspirierte, das fehlende Abiturium und Studium entgegenstanden. Von Saegert,
der sich als Wesen sui generis empfand, auf das formale Qualifikationsvorschriften unanwendbar seien, wurden diese Widerstände
als Intrigen empfunden, gegen die er erbittert ankämpfte. Immerhin gelang es ihm, durch Fürsprache des Königs, die gewünschten
Stellungen zum Teil zu erreichen, wenn auch unter erheblichem Widerstand der Minister von Ladenberg und von Raumer, die durch
seine Aufnahme in das Kollegium eine Abwertung der Institution befürchteten, das jedenfalls als Grund für die Ablehnung Saegerts
angaben, der ihnen in mancher Hinsicht nicht gefiel (was aber den Minister von Ladenberg nicht hinderte, nach seiner Entlassung
die Fürsprache Saegerts beim König zu suchen, siehe Nr. 33).[...]
Das Aktenmaterial ist überwiegend chronologisch verzeichnet, mit Verweisungen bei den einzelnen Nummern auf korrespondierende
Stücke.
Es ist damit eine Form der Verzeichnung des Aktenmaterials versucht worden, von der erhofft wird, dass sie die Auffindung
des Zusammengehörenden erleichtere.
Dem Briefwechsel König - Saegert sind Originale oder Abschriften von diplomatischen Akten beigelegt. Sie sind im Anschluss
an die Charakteristik der Hauptinhalte des Briefwechsels einzeln aufgeführt. Einige von ihnen mögen sich in: Poschinger, "Die
Außenpolitik Preußens 1850 - 1858" abgedruckt finden.
Die an Saegert gerichteten Briefe in den Mappen Nr. 12, 15, 21, 35, 40, 43, 49, 63, 64 sind zum großen Teil nur mit Handzeichen
unterzeichnet oder ohne Unterschrift. Die Urheber der Briefe ließen sich aber im Wesentlichen aus den Akten selbst identifizieren,
auch soweit sie mit Decknamen operierten. Die Decknamen wurden insbesondere während der Spezialmission des Geheimen Rats von
Usedom und des Generals von Wedell verwendet. Der Code in Nr. 65 gibt zum Teil Aufschluss über die wirklichen Namen, zum Teil
auch die Briefe in Nr. 70 vom 4. Februar und 8. März; im Übrigen ist ein ergänzendes Verzeichnis der Nr. 65 beigelegt worden.
Die Literatur über Saegert ist spärlich. Es liegt nur eine größere Arbeit vor: KUTZSCH, Friedrich Wilhelm IV. und Carl Wilhelm
Saegert (in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, herausgegeben vom Friedrich Meinecke-Institut der Freien
Universität Berlin, Band VI, Tübingen 1957, S. 133 - 172); im Übrigen wird Saegert, soweit ersichtlich, in folgenden Publikationen
in zum Teil unrichtiger bis phantastischer Darstellung erwähnt: Borries, Preußen im Krimkrieg, Stuttgart 1930, S. 134/135;
Lewolter, Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1938, S. 455.
Ergänzung zum Code:
Bulldog - Geheimer Kämmerer Schöning
Fridolin - Saegert
Eckardt - Saegert
Schreiber - Saegert
Willem - Saegert
Joseph - Oberst von Olberg
Schnell - Oberst von Olberg
Kierusch - Ministerpräsident von Manteuffel
Lampe - Ministerpräsident von Manteuffel
Kranz - Hardeck, Sekretär des Geheimen Rats von Usedom
Müller - General von Wedell
Mark - General von Wedell
August - General von Wedell
Rattenfang - Polizeidirektor Stieber
Rühle - Geheimer Rat von Usedom
Schlosser - Geheimer Rat von Usedom
Renner - König Friedrich Wilhelm IV.
Weber - Prinz Wilhelm von Preußen
Windspiel - Kabinettssekretär Harder
Sonnenstein - Geheimer Rat Bunsen
Das Original ist der Nr. 65 beigelegt.